Professor Wiseman, ich hätte eine Frage

Posted Juni 21, 2024

Englisch

Von Kristin Fehlauer
Aus dem Englischen von Maria Wolf

Tag für Tag fasziniert mich von Neuem der Beruf, mit dem ich meinen Lebensunterhalt verdiene. Faszinierend ist dabei nicht allein, zwischen zwei Sprachwelten zu navigieren und Einblick in vielfältige Branchen und Fachgebiete zu erhalten, sondern auch, was beim Arbeiten in meinem Gehirn und meinem Körper vor sich geht. Seit der Grundschule übe ich mich zum Beispiel im Schreiben mit der Tastatur, das mir in den Highschool-Jahren und später so in Fleisch und Blut übergangen ist, dass ich meine Gedanken am liebsten tippend ausarbeite. Manchmal telefoniere ich mit Kunden, um Fragen zur Formulierung einer Überschrift oder eines Satzes abzuklären. Meine Lösungsvorschläge erhalten sie aber immer erst im Anschluss per E-Mail. Etwas in dem physischen Akt, Worte auf (virtuelles) Papier zu bringen, scheint meine Kreativität besonders anzuregen.

Dieser kinästhetische Sinn hat jedoch auch seine Tücken. So unterlaufen mir bisweilen Homofone wie „die Lehre meines Hirns“ statt „die Leere meines Hirns“. Ein seltsames Phänomen. Warum tippen meine Finger ein Wort, das genauso klingt wie der gesuchte Begriff, aber komplizierter zu schreiben ist? Und warum nicht „die Meere meines Hirns“?

Nicht nur in den Fingern, auch im Gehirn spielen sich rätselhafte Vorgänge ab. Während ich im zweiten Absatz das Wort „Seit“ eintippte, sortierte mein Gehirn mögliche Anschlüsse:

  • Seit meinem x. Lebensjahr („x“ hätte ich allerdings erst berechnen müssen)
  • Seit 198x (auch dies eine Rechenaufgabe)
  • Seit Kindesbeinen (was haben Beine mit Tippen zu tun?!)
  • Seit der Grundschule (passt!)

 

Noch bevor meine Finger das Leerzeichen nach „Seit“ tippten, hatte mein Gehirn in Lichtgeschwindigkeit entschieden, wie der Satz weitergeht.

Und das sind nicht die einzigen Prozesse, die bei der Bearbeitung eines Textes ablaufen. Kürzlich habe ich beschrieben, wie sich das Berufsbild des Sprachdienstleisters in meiner 17-jährigen Karriere verändert hat. Auch mein Umgang mit den für meine Arbeit unverzichtbaren Hardware- und Softwaretools hat sich gewandelt. Wenn ich einen Text mit „Änderungen verfolgen“ korrigiere oder lektoriere, nutze ich bevorzugt eine bestimmte Ansicht. Früher musste ich beim Übersetzen zwischen mehreren Fenstern auf meinem Bildschirm hin- und herwechseln. Irgendwann leistete ich mir einen zweiten Bildschirm, sodass Ausgangs- und Zieltext auf getrennten Bildschirmen angezeigt wurden. Heutzutage nutze ich ein Softwareprogramm, das mir Ausgangs- und Zieltext in einer schmalen Ansicht nebeneinander serviert. Daran habe ich mich so sehr gewöhnt, dass mir die Texte in der alten Einzelbildschirmansicht zu weit voneinander entfernt erscheinen.

All diese Prozesse sind mir bewusst, aber das allein reicht mir nicht. Ich möchte mehr darüber wissen! Wo finde ich Forschende, die solche Dinge untersuchen? Am liebsten würde ich mit ihnen die Bewegungen meiner Augen und meiner Hände beim Tippen aufzeichnen und beobachten, welche Gehirnregionen dabei wann, wie lange und wie stark aktiv sind.

Der erste Name, der mir einfällt, wenn es um die wissenschaftliche Untersuchung von Fragen im Alltag geht, ist der britische Psychologieprofessor  . Er erforscht verschiedene psychologische Aspekte, zum Beispiel wie Menschen mit Humor und Täuschung umgehen. Ich würde mir wünschen, dass er und sein Team sich mit der Frage beschäftigen, wie die Arbeit von Sprachprofis funktioniert. Zu meinem Leidwesen ist das Thema aber wahrscheinlich nicht populär genug, um sein Interesse zu wecken. Sollte dennoch jemand da draußen den Kontakt herstellen können, wäre ich sehr dankbar!

 

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