Sag niemals nie nicht!
Von Richard Peters
Aus dem Englischen von Julia Harwardt
Vor langer, langer Zeit in einer weit entfernten Galaxie, deren Bewohner nichts von Selbstisolierung wussten und außerhalb ihrer eigenen vier Wände frei und ohne Angst vor einem Virus umherstreunten, stolperte eine Kollegin von mir in einer Münchner Brauerei über einen Bierdeckel mit der Aufschrift:
Bei uns hod no nia ned koana koa Bier ned drunga!
Diese im schönsten Bayrisch verfassten Worte unsterblicher Weisheit weckten nicht nur ihren Durst, sondern auch ihre linguistische Neugier. Wie sie schließlich mit einiger Mühe entschlüsselte, war ihre Bedeutung, sogar für eine Brauerei, fast schon banal: „Bei uns hat noch niemand kein Bier getrunken!“
Nüchtern auf den Punkt gebracht verliert dieser Spruch natürlich seinen Charme der barock-verdrehten Anspielung auf die, wenn man so will, „gute alte (urbayrische) Zeit“, als man noch unbeschwert in fröhlicher Runde die eine oder andere Mass Bier genoss.
Meine Kollegin schob diesen melancholischen Gedanken an eine vergessene Welt jedoch schnell beiseite – sicherlich mit Hilfe eines großen Schlucks besagten fermentierten Getränks – und unterzog den Spruch einer näheren Untersuchung: Wieso erwärmt dieser Satz dem Leser trotz der zahlreichen Verneinungen so kunstvoll das Herz?
Wir haben es hier mit sage und schreibe fünf Verneinungen zu tun: „no nia“ (noch nie), „ned“ (nicht), „koana“ (keiner), „koa“ (kein) und zum krönenden Abschluss ein letztes „ned“ (nicht). Und dennoch gräbt sich der menschliche Geist tapfer durch all diese Negativität hindurch und erfasst am Ende die eigentliche Aussage „Bier ist gut – und jeder mag es“. Wie geht das? Haben wir es hier womöglich mit einer allein den Bayern vorbehaltenen Sprachbesonderheit zu tun?
Die englische Sprache verabscheut die Aneinanderreihung von Verneinungen. Zumindest machte uns das im 18. Jahrhundert der englische Bischof und Gelehrte Robert Lowth glauben, als er 1762 in seiner Kurzen Einführung in die englische Grammatik schrieb:
„Im Englischen heben sich zwei Verneinungen gegenseitig auf oder ergeben eine positive Aussage.“
Leider konnte mit Lowths Liebe zur Grammatik nur seine Begeisterung mithalten, andere – sogar berühmte Schriftsteller und Dramatiker – allein auf Grundlage seines persönlichen Geschmacks für ihren Sprachgebrauch zu kritisieren. In seiner Sprachkolumne schrieb The Economist dazu kürzlich: „Lowth gilt als Urheber einiger der anachronistischsten ungerechtfertigten Regeln der englischen Sprache – Verbote, die selbst zu der Zeit, als er sie erließ, keinerlei Gültigkeit hatten und dennoch Jahr für Jahr jedem Schulkind erneut vorgesetzt werden.“
Jeder, der heute etwas auf Englisch verfasst, darf sich deshalb mit willkürlichen Konventionen wie „Beende niemals einen Satz mit einer Präposition“ (eine andere Perle aus der Lowth’schen Schatzkiste) herumschlagen und steht vor der fast schon zur Tugend erhöhten Erwartung, keinesfalls mehr als eine Verneinung zu verwenden – obwohl dies im gesprochenen Englisch sowie im mündlichen und schriftlichen Gebrauch in vielen anderen Sprachen gang und gäbe ist. Ich muss niemals nicht kein Bayer sein, um kein Bier ohne Verneinungen niemals nicht mehr zu trinken!
Ziemlich sicher würde unser Freund aus dem 18. Jahrhundert seine prinzipientreue Grammatikernase rümpfen angesichts dieses tiefsinnigen bayrischen Werbespruchs, der meine Kollegin so faszinierte – zumindest, wenn wir ihn hierher zu uns ins moderne Mitteleuropa beamen könnten. Glücklicherweise gehört diese Möglichkeit der Welt der Fantasie an – bedauerlicherweise jedoch vorerst auch die Aussicht, dass ich mich selbst auf Spurensuche in besagte Brauerei begeben kann.
Wie die Materie mit der Antimaterie hat die doppelte Verneinung, die letztlich eine Bejahung bedeutet, in der Theorie natürlich einen Gegenpart: die doppelte Bejahung, die folglich eine Verneinung ergeben müsste, in der Natur jedoch so nicht auftritt. In diesem Punkt ist Sprache wie Mathematik: Wie wir aus Schulzeiten wissen, steht bei der Multiplikation von zwei negativen Zahlen am Ende ein positives Ergebnis. Und mit Sprache ist es genauso, denn so etwas wie eine doppelte Bejahung gibt es schlichtweg nicht, oder? Ja, genau.