Identität 2: Zu Hause ist’s am schönsten

Posted Dezember 21, 2017

Englisch

von Colin Rae, aus dem Englischen von Julia Harwardt

Im ersten Teil meines Blogs habe ich einige Fragen zu Nationalität, Sprache und Identität aufgegriffen, die mich im Laufe meiner fast 15 Jahre in Deutschland beschäftigten. Lesen Sie im zweiten Teil, wie sich die Dinge angesichts der jüngsten Entwicklung nun nochmals ändern.

 

Teil 2: Brexit, Scotrance und Einbürgerung

Juni 2016: Ich lebe nun seit über 13 Jahren in Deutschland, bin verheiratet und Vater eines Sohnes. Alles passt – bis plötzlich das Undenkbare geschieht: Die Briten stimmen für den Austritt aus der EU. Wie die häufigste Suchanfrage bei Google UK am Folgetag mit „Was ist die EU?“ zeigt, hatten offenbar grotesk viele Wähler gar nicht verstanden, worüber sie abgestimmt haben, weshalb es eine ganze Weile dauert, bis ich meine größte Wut und Fassungslosigkeit verdaut habe. Kaum habe ich mich einigermaßen wieder gefangen, frage ich mich, was die Entscheidung konkret für mich bedeutet: Da ich schon lange in Deutschland, mittlerweile verheiratet und festangestellt bin, würde ich so schnell nicht abgeschoben werden. Allerdings brauche ich seit 2004 keine Aufenthaltserlaubnis mehr und bin nicht unbedingt erpicht darauf, meinen Aufenthalt hier wieder vor den Behörden rechtfertigen zu müssen. Der beste Weg, um meine Freiheiten als EU-Bürger zu wahren, scheint also die deutsche Staatsbürgerschaft.

Obwohl ich mich hier eingelebt habe und nicht plane, dauerhaft auf die Insel zurückzukehren, kam mir die Vorstellung, „Deutscher zu werden“, dennoch seltsam vor. Die Entscheidung fiel mir leichter, als ich erfuhr, dass ich meine britische Staatsbürgerschaft behalten konnte, sofern meinem Antrag bis zum tatsächlichen Brexit Ende März 2019 zugestimmt würde. Ich kann mir aber immer noch nicht recht vorstellen, wie es wohl sein wird, auf Formularen künftig ein anderes Kästchen anzukreuzen oder bei Behördengängen oder am Flughafen meinen neuen deutschen Ausweis vorzuzeigen.

Wie die Mutter, so der Sohn?

Sprache ist natürlich weiterhin ein wichtiger Aspekt meiner Integration. Kürzlich hatten wir beim Abendessen mit meinen Schwiegereltern eine lebhafte Debatte über unsere „Haussprache“. Meine Frau und ich sprechen mit unseren Kindern (inzwischen haben wir zwei Söhne) unsere jeweilige Muttersprache, d. h. sie Deutsch, ich Englisch. Julius, mein ältester Sohn, ist seit Kurzem drei Jahre alt und macht derzeit immense sprachliche Fortschritte. Da er viel Zeit mit seiner Mutter und ihren Eltern verbringt, spricht er natürlich besser Deutsch als Englisch, hat in letzter Zeit im Englischen jedoch enorm aufgeholt. Vor diesem „Schub“ war ich aber etwas beunruhigt: Was, wenn Englisch für ihn immer nur Zwei- und nicht eine mit Deutsch gleichwertige Erstsprache sein würde? Als ich das beim Abendessen ansprach, versicherten meine Schwiegereltern mir, dass er „selbstverständlich noch Englisch lernen“ würde.

Die Frage ließ mir keine Ruhe. Offensichtlich betrachteten wir die Angelegenheit aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Natürlich sehen meine Schwiegereltern es als Vorteil, wenn man Englisch sprechen kann, aber sie verstehen darunter eben auch eine Fremdsprache. Für mich ist das jedoch anders, denn ich hatte schlicht angenommen, dass Englisch und Deutsch für meine Söhne gleichwertige Erstsprachen sein würden. Dabei hatte ich die Möglichkeit außer Acht gelassen, dass meine Kinder „nur“ deutsche Muttersprachler mit hervorragenden Englischkenntnissen werden könnten. Durch die Debatte wurde mir klar, was ich mir eigentlich wünsche: dass meine Söhne Englisch als „ihre“ Sprache ansehen, nicht nur als praktisches Werkzeug, sondern als festen Bestandteil ihrer Persönlichkeit. Ihrerseits erkannten meine Schwiegereltern, dass sie sich so sehr an mich als „Deutschen“ gewöhnt und darüber ganz vergessen hatten, dass da ja noch eine andere Seele in meiner Brust wohnt.

Spannende Zeiten

Inzwischen, Ende 2017, habe ich meinen Einbürgerungstest offiziell bestanden: 33 Multiple-Choice-Fragen zu allen möglichen Themen, von den Farben der Bundesflagge bis hin zum parlamentarischen System. Während meiner Prüfungsvorbereitung ließ ich zum Spaß meine deutschen Freunde und Familienangehörigen den Test machen, um zu sehen, wie gut – oder schlecht – sie abschneiden würden. Fairerweise muss ich zugeben, dass ich nicht sicher bin, ob ich die Fragen des britischen Einbürgerungstests alle richtig beantwortet hätte … Jetzt kann ich jedenfalls meine Unterlagen einreichen und die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen.

Eigentlich ist es komisch, dass meine Entscheidung zur Einbürgerung rein praktische Gründe hat. Ich möchte meine Freiheiten als EU-Bürger behalten, und ein einfacher deutscher Ausweis macht das möglich. Einer meiner britischen Kollegen träumte nach dem Referendum von der „Londependence“, also einem vom Vereinigten Königreich als Nicht-EU-Mitglied unabhängigen London. Außerdem habe ich die (wenn auch eher unrealistische) Option, dass Schottland mit dem „Scotrance“ das Vereinigte Königreich verlassen und der EU beitreten könnte, noch nicht ganz abgeschrieben. Ironischer- oder vielleicht sogar passenderweise wäre dann, sofern Schottland auch noch die Monarchie wiedereinführen würde (was aber noch unwahrscheinlicher ist), einer der Hauptanwärter auf den Thron – Herzog Franz von Bayern.

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