Die wundersame Welt des Lektorats
Von Julia Harwardt
Dass meine Übersetzerkolleg*innen und ich Sprache lieben, ist weder ein Geheimnis noch eine Überraschung – andernfalls wären wir kaum in unserem Beruf gelandet. Doch damit Sprache ihre Rolle als Brückenbauerin erfüllen kann, braucht sie neben schönen Ausdrücken und klaren sowie eleganten Formulierungen noch etwas: nämlich eine korrekte Orthografie, Grammatik und Zeichensetzung. Mit fast schon diebischer Freude jage ich daher den großen und kleinen Fehlerteufeln in Texten nach und verspüre echte Genugtuung, wenn ich am Ende einen rundum „sauberen“ Text abliefern kann, an dem selbst die Duden-Redaktion nichts auszusetzen hätte. Obwohl das Thema Lektorat bei meiner Ausbildung zur Übersetzerin keine Rolle gespielt hatte, war ich mir immer recht sicher, dass ich gute Arbeit leistete – ohne jedoch genauer über die Methoden und Ziele des Lektorats nachzudenken. Das änderte sich aber schnell, als ich im Rahmen meiner Weiterbildung bei Klein Wolf Peters beim Bundesverband für Übersetzer und Dolmetscher (BDÜ) eine fünfteilige Seminarreihe für die ISO-17100-konforme Revision absolvierte. Dazu gehörte auch das zweitägige Modul „Lektorat“: „Wunderbar“, dachte ich, „kann ich alles, weiß ich alles. Kinderspiel.“ Na ja, nicht ganz.
Wie ich nämlich schnell feststellte, war mir bislang nicht klar gewesen, wie breit das Aufgaben- und Definitionsspektrum dieses Tätigkeitsfelds tatsächlich ist. Denn wie die Diskussionen zu den Inhalten, Methoden und Zielen des Lektorats zeigten, herrscht hier selbst unter Fachleuten alles andere als Einigkeit und Klarheit. Auch bei Klein Wolf Peters stehen wir immer vor der Frage: Was erwarten unsere Auftraggeber*innen eigentlich, wenn sie ein Lektorat bestellen? Und wissen wir alle, wie wir diese Anforderungen erfüllen können?
Fangen wir bei den allgemeinen Grundlagen an: Kernziel des Lektorats ist es, einen bereits bestehenden Text zu verbessern. Die Aspekte, die ich als Lektorin prüfe, hängen letztlich von der Textsorte sowie den Wünschen und Erwartungen meiner Auftraggeber*innen ab und lassen sich grob in drei Kategorien einteilen: Da haben wir zum einen die sprachliche Ebene, bei der beispielsweise Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung geprüft und bei Bedarf korrigiert werden. Daneben gibt es die inhaltliche Ebene, zu der die Textgliederung und -länge ebenso gehören wie inhaltliche Richtigkeit und Logik. Zu guter Letzt haben wir noch die formale Ebene, bei der zum Beispiel die Umsetzung von Layoutvorgaben oder Zeilenumbrüche geprüft werden.
Welche dieser drei Aspekte im Fokus stehen – ob alle zusammen oder in Kombination –, hängt vom gewünschten Ergebnis ab. Begriffe wie „Werbelektorat“, „Standardlektorat“, „Korrektorat“ oder „Stilllektorat“ existieren zwar, sind meines Erachtens aber nur bedingt aussagekräftig, da die Auslegung dieser Begriffe mitunter sehr unterschiedlich ausfällt. Damit bringt jeder Lektoratsauftrag spezifische Anforderungen, die mit den Auftraggeber*innen zu klären sind: Reicht für den Tweet ein kurzer Grammatik- und Rechtschreibcheck? Oder soll der Post auch auf Lesefreundlichkeit oder zielgruppenorientierte Sprache geprüft werden? Vielleicht ist aber das Marketingteam beispielsweise mit den Überschriften und Zwischentiteln des nächsten Blogs noch nicht ganz glücklich – dann werde ich von der Lektorin zur Texterin und überlege mir mögliche Alternativen. Gängig ist auch die Prüfung von Druckfahnen bzw. des finalen Layouts, beispielsweise auf Zeilenumbrüche oder die Umsetzung grafischer Vorgaben. All dies geschieht heutzutage selbstverständlich nur noch selten auf Papier, sondern in digitalen Formaten, sodass auch hier zu klären ist, ob ich meine Änderungen oder Alternativvorschläge per Kommentar, im Änderungsmodus oder direkt und ohne Markierung in den Text einfüge.
Was am Ende zählt, ist immer die genaue Absprache mit den Auftraggeber*innen. Nur wenn wir als Lektor*innen genau wissen, was sie brauchen und wie wir ihre Erwartungen optimal erfüllen, können wir passgenau arbeiten und sorgfältig lektorierte Texte liefern, die ihre ganze Wirkkraft entfalten – ob in der Pressemitteilung, auf der Unternehmenswebsite, im Nachhaltigkeitsbericht oder Online-Shop.