Mensch, quo vadis?
Von Maria Wolf
Die Entwicklung KI-basierter Sprachmodelle schreitet mit exponentieller Geschwindigkeit voran. Die vierte Generation ChatGPT programmiert, kreiert Bilder, rechnet Textaufgaben, erfindet Geschichten, dichtet, reißt sogar Witze, schreibt, übersetzt, lernt mit dem Feedback der Benutzerinnen und Benutzer und passt sich dem Stil und Geschmack ihrer Auftraggeber an. Die Sprachmodelle werden immer leistungsfähiger und rücken der menschlichen Sprachausgabe immer dichter auf den Pelz. Brauchen Unternehmen Texter, Übersetzer und Dolmetscher künftig überhaupt noch?
ChatGPT selbst antwortet auf diese Frage, dass KI-basierte Sprachmodelle „trotz beeindruckender Fortschritte immer noch Schwierigkeiten mit Nuancen, kulturellen Aspekten und kontextbezogenen Bedeutungen haben, sodass menschliche Übersetzer in Bezug auf hochwertige und präzise Übersetzungen oft überlegen bleiben“. Auch die Kombination von Sprach-, Fach- und Kulturkompetenz sowie Einfühlungsvermögen menschlicher Dolmetscher wird so schnell nicht ersetzbar sein.
Diese Aussagen von ChatGPT klingen tröstend. Allerdings verharrt der Chat-Assistent ChatGPT, der im Dezember 2022 veröffentlicht wurde und meine Frage beantwortet hat, auf dem Wissensstand von 2021– die Entwicklung steht jedoch nicht still. Mit mehr und aktuelleren Trainingsdaten sowie zunehmendem Feedback werden die Sprachmodelle immer leistungsfähiger, wie ChatGPT-4 bereits zeigt. Wir sind also noch nicht aus dem Schneider.
KI wird unsere Berufsbilder verändern, das steht außer Frage. Der Prozess hat längst begonnen. Der Lernfähigkeit KI-basierter Systeme scheinen keine Grenzen gesetzt, was viele Fragen bezüglich Sicherheit, Ethik und Recht aufwirft. Die Herausforderung für alle und insbesondere den Berufsstand der Sprachdienstleister wird sein, die technologische Entwicklung, insbesondere die künstliche Intelligenz, sinn- und verantwortungsvoll einzusetzen und sich ihre Vorteile zunutze zu machen. Wer KI-basierte Sprachmodelle verwendet, muss Inhalte auf ihren Wahrheitsgehalt und Übersetzungen auf ihre Richtigkeit prüfen und darf sich nicht vom gefälligen Sprachfluss blenden lassen.
Unzählige Beispiele teils lustiger, teils erschreckender Übersetzungsfehler von Übersetzungsprogrammen wie Google Translate oder DeepL zeigen, dass eine sorgfältige Überarbeitung von Menschenhand notwendig ist, besonders wenn es um sensible Themen geht, die Reputation eines Unternehmens oder die Sicherheit auf dem Spiel steht. Die Beurteilung, welcher Begriff oder welche Formulierung inhaltlich korrekt, eventuell treffender, kulturell angemessener oder zweckdienlicher ist, bedarf neben Erfahrung sowie sprachlicher, fachlicher und kultureller Kompetenz – übrigens sowohl in der Ausgangs- als auch in der Zielsprache –auch der Abstimmung mit dem Auftraggeber und eines tieferen Verständnisses seiner Zielsetzung, seiner Produkte und seiner Zielgruppen. Nur so kann präzise und hochwertige Kommunikation entstehen. Dies lässt sich von Mensch zu Mensch einfacher erarbeiten als von Mensch zu Maschine.
Beim sogenannten Post-Editing maschineller Übersetzungen stellen wir ferner oft fest, dass die besseren Übersetzungsprogramme zwar vollständige und – von einigen oftmals sehr subtilen Fehlern abgesehen – verständliche Übersetzungen liefern, die Inhalte jedoch weitaus attraktiver und zum Handeln ermutigender formuliert werden könnten. Welchen Schaden man verursacht, wenn man sich den Aufwand einer sorgfältigen Überarbeitung spart, zeigt sich im schlimmsten Fall erst im Nachhinein. Eine gute Beratung im Vorfeld durch eine Fachkraft zahlt sich aus und erspart möglicherweise peinlichen Ärger.
Im Übrigen sind noch nicht alle urheberrechtlichen und datenschutztechnischen Fragen der KI-basierten Tools vollständig, verlässlich und transparent geklärt.
Kompetente Sprachdienstleister können Unternehmen einen Mehrwert und Sicherheit bieten, besonders dann, wenn sie für ihre Kunden erreichbar und persönlich ansprechbar sind. Welche Dienstleistungen in welchem Umfang genau benötigt werden, lässt sich am besten im Gespräch ermitteln. Ich persönlich freue mich, wenn ich bei aller Effizienz, die moderne Technologien und KI in unser Leben bringen, auf Menschen treffe und nicht mit Maschinen kommunizieren muss. Ein Mensch, der mir antwortet: „ich verstehe, was Sie meinen“, obwohl meine Frage möglicherweise unklar formuliert war, ist mir weitaus lieber als ein Automat, der mir eine Liste von Standardproblemen aufzählt und mich zwingt, mich durch Drücken einer bestimmten Taste für eines dieser Probleme zu entscheiden, in der Hoffnung, irgendwann an einen kompetenten Menschen durchgestellt zu werden. Wie viel effizienter ist es doch, gleich an die Richtige oder den Richtigen zu geraten und gut beraten und bedient zu werden – so von Mensch zu Mensch.