Ein Engländer, ein Schotte und eine Waliserin geraten in einen Brexit … Kein Witz!
Von Colin Rae
Aus dem Englischen von Maria Wolf
Nie hätte ich es für möglich gehalten, aber am 29. März wird das Undenkbare ein- und Großbritannien aus der EU austreten. Es ist unschwer zu erkennen, dass ich kein Brexit-Befürworter bin. Zwar lebe und arbeite ich seit 16 Jahren in Deutschland und habe nicht die Absicht, auf die Insel zurückzukehren, dennoch bestürzt mich die verfahrene Situation meines Landes zutiefst. In solch einem Fall muss mir die Meinung des Volkes doch egal sein. Bei einem so komplexen Konstrukt wie der EU mit all ihren verworrenen und facettenreichen Finanz- und Handelsbeziehungen kann ich nicht erwarten, dass der Wähler eine informierte Entscheidung treffen kann. Nicht einmal die renommiertesten Politikanalysten, Wirtschafts- und Rechtsexperten können mit Sicherheit sagen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Für mich steht eines fest: Der 29. März wird ein trauriger Tag in der Geschichte Europas.
Brexit kommt in eine Bar, sagt der Barmann …
Da meine Landsleute und ich, die wir im Ausland leben, die dümmste politische Entscheidung aller Zeiten nicht rückgängig machen können, gibt es für uns nur einen Ausweg: Richard, einer unserer Geschäftsführer, ist halb Engländer, halb Österreicher; er beantragte einfach nur einen österreichischen Pass und sicherte sich so seine EU-Rechte für die Post-Brexit-Ära. Für ihn ein unkomplizierter und undramatischer Schritt. Meine Kollegin Jess, die ursprünglich aus Wales stammt und zum Zeitpunkt, als die Anwendung des Artikels 50 des Vertrags über die Europäische Union eingeleitet wurde, sowohl die britische als auch die kanadische Staatsbürgerschaft besaß, musste schon einen Schritt weitergehen und Deutsche „werden“. Dies bedeutete, dass sie ihre kanadische Staatsbürgerschaft aufgeben, die deutsche Sprachprüfung sowie den Einbürgerungstest ablegen und endlosen Papierkram für die Behörden erledigen musste, damit ihr Antrag bearbeitet werden konnte. Anfang des Jahres war es dann schließlich so weit: Jess „wurde“ Deutsche.
Brexit – ein Witz, über den einem das Lachen vergeht
Und was ist mit mir? Auch ich beschloss, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen, ohne meine britische aufzugeben. Glücklicherweise lebe ich bereits doppelt so lang in Deutschland wie erforderlich, verfüge über den Nachweis einer deutschen Institution über meine deutschen Sprachkenntnisse (selbst ein Master in Deutsch zählt nicht, wenn er von einer nicht-deutschen Universität stammt) und bin in Vollzeit festangestellt. Zudem bin ich in Deutschland verheiratet, habe eine Familie gegründet, immer meine Steuern gezahlt und niemals gegen das Gesetz verstoßen. Wenn sie mich nicht einbürgern sollten, wen dann?
Auch wenn es ein logischer Schritt war, hat es eine Weile gedauert, bis ich mir über die psychologischen Auswirkungen einer Einbürgerung in ein anderes Land klar wurde. Was bedeutet es, plötzlich Deutscher zu sein? Bin ich dann automatisch weniger Brite? Wie wird es sich anfühlen, wenn ich die Geschicke meiner Wahlheimat aktiver mitgestalte als die meines Geburtslandes? Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich auf meine deutsche Staatsbürgerschaft stolz sein werde. Sie ist das i-Tüpfelchen meiner Integration. Ich werde dadurch in keiner Weise weniger Brite: Ich verliere nichts – ich gewinne dazu. Angesichts des derzeitigen Umbruchs in diesem Land freue ich mich, dass ich mit meiner Stimme meine eigene Zukunft in einem Land mitgestalten werde, das auf meine Meinung Wert legt.