Der Alm-Traum des Übersetzers

Posted März 31, 2020

Englisch

Von Kristin Fehlauer

(Aus dem Englischen von Julia Harwardt)

Kürzlich besuchte mich meine Schwester aus den USA mitsamt ihrer Familie in München und wie jedes Mal, wenn ich Besuch habe, wurden mir Fragen gestellt, auf die ich zu meinem Leidwesen keine Antwort parat habe. Dieses Mal geschah es beim Mittagessen in einem kleinen, netten Biergarten ­­– der Isar Alm – hinter einem Stadtgarten am bewaldeten Uferstreifen der Isar.

Meine Schwester war in der Nähe meiner Wohnung bereits mehrmals an einer anderen Gaststätte, der Giesinger Alm, vorbeigekommen, die nur wenig mit der Isar Alm gemein hat. Sie liegt mitten in der Stadt an einer nicht wenig befahrenen Straße und bietet Gästen draußen nur eine Handvoll Sitzplätze. Bislang habe ich die – trotz weißer spitzenbesetzter Scheibengardinen – etwas düster wirkende Giesinger Alm gemieden, deren Kundschaft sich vor allem aus älteren Rauchern zusammenzusetzen scheint.

Meine Schwester, die wie ich englische Muttersprachlerin ist, fragte mich also, was „Alm“ denn bedeute. Denn wenn beide Gaststätten das Wort im Namen trügen, müssten sie ja auch etwas gemein haben, oder? Eine berechtigte Frage, auf die ich jedoch keine Antwort hatte. Hier in Oberbayern begegnet man häufig diesem Begriff, mit dem ich vage eine Hütte, meist in den Bergen, verbinde, in der man eine Brotzeit, etwas zu trinken und vielleicht sogar ein Bett für die Nacht bekommt.

Alm, feminin, Singular; die Almen, Plural: eine Bergweide, vornehmlich in den Alpen, die vor allem für die Viehwirtschaft in den Sommermonaten genutzt wird. Die Bezeichnung stammt von mittelhochdeutsch alben ab, eine Ableitung von der vorrömischen albe als Bezeichnung für einen (hohen) Berg.

Ich lag also falsch, denn die offizielle Definition bezieht sich auf die Weide, nicht aber das Gebäude. Warum also nennen sich die beiden Gaststätten „Alm“, wo doch weit und breit keine Bergweide zu sehen ist? Weitere Beispiele wären die Käse-Alm, ein Käsegeschäft nur wenige Meter von meiner Wohnung entfernt, und die Sportalm am Münchner Flughafen. Nun, was steckt hinter diesen Namen?

Eine einfache Antwort könnte lauten: Marketing. Da in den warmen Monaten Weidetiere auf die Bergweiden – im Sinne der ursprünglichen Almen – getrieben werden, sind dort häufig Gebäude für die Viehhaltung zu finden, von denen manche bewirtschaftet sind und müden Wanderern Rast und Erfrischungen bieten.

Wer also seine Gaststätte „Alm“ nennt, setzt sie mit diesen Gebäuden in Verbindung und weckt so die Vorstellung von atemberaubenden Ausblicken auf majestätische Alpengipfel und warmen Sonnenstrahlen über grünen Wiesen mit blühenden Wildblumen. All diese Assoziationen machen die Übersetzung nicht leichter. Den Namen einfach stehenzulassen und zu hoffen, dass die Leute ihn schon verstehen, ist nicht immer eine Option, auch wenn wir im Allgemeinen die Namen von Restaurants und Gaststätten nicht übersetzen. Was aber tun mit einem Satz wie dem folgenden, den wir kürzlich übersetzen mussten?

Die moderne, urbane Alm wird zu Fuß mit einer ca. 45-minütigen Wanderung erreicht.

Wörtlich übersetzt wäre das: „The modern, urban Alm can be reached on foot with a roughly 45-minute hike.”

Welche Alm ist in diesem Fall nun gemeint? Angesichts der Verbindung mit „modern“ und „urban“ kann nicht die Weide gemeint sein (obwohl das nach einer coolen Idee für futuristische Konzeptkunst klingt). Folglich muss es wohl der Ort auf einer Alpenweide sein, wo Wanderer Rast machen und etwas trinken können. Doch im Englischen gibt es kein Wort, das all diese Merkmale kompakt wiedergibt: Ein „restaurant“ wird kaum in den Bergen zu finden sein, zumindest keines, zu dem man normalerweise eben mal hin spaziert; dasselbe gilt für „pub“; und „hut“ klingt nach einer unisolierten Hütte, die gerade mal ein Minimum an Schutz vor Wind und Wetter bietet.

Wir entschieden uns also gegen eine wörtliche Übersetzung und schrieben stattdessen:

A 45-minute hike will take you to the urban-style Umbrüggler Alm, a modern take on an alpine hut.

Anstatt also nach diesem einen Wort zu suchen, das dem Original am nächsten kommt, haben wir verschiedene Elemente des besagten „Orts auf einer Alpenweide, wo Wanderer Rast machen und etwas trinken können“ über den gesamten Satz verteilt.

Die Klage, dass ein bestimmtes englisches Wort dem deutschen nicht perfekt entspricht, ist nicht neu. Ich würde jedoch behaupten, dass das betreffende Wort in 99 % der Fälle nicht „unübersetzbar“, sondern „nicht effizient übersetzbar“ ist. Jedes Wort und jeder Gedanke kann prinzipiell erklärt werden, häufig mangelt es dafür jedoch an Platz – sei es nun aufgrund der festgelegten Textlänge oder weil eine aussagekräftige Erklärung zu viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen und den Leser ablenken könnte.

Wenn also das nächste Mal wieder jemand behauptet, ein Wort könne „nicht übersetzt werden“, um sich dann in umständlichen Erklärungen zu ergehen, fragen Sie sich, ob es dafür nicht ein besseres Wort als „unübersetzbar“ gibt.

 

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