Gift oder Gold zwischen den Zeilen
Von Kristin Fehlauer
Aus dem Englischen von Maria Wolf
Wer in einer Redaktion entscheidet, was auf die Rückseite eines Buchdeckels gedruckt wird – ob kurz beschrieben wird, worum es geht, oder nur lobende Rezensionen zitiert werden sollen? Obwohl – ich will lieber nicht wissen, wer mich meiner geliebten Zusammenfassungen beraubt.
Die lese ich nämlich leidenschaftlich gerne. Ich liebe diese kurzen Zeilen, die den Inhalt in wenigen Worten abstrakt skizzieren: „Die Geschichte von drei Menschen, die …“ oder „Ein Roman voller Intrigen …“ – und mit ein paar verschwommenen Pinselstrichen eine Handlung voll prickelnder Spannung andeuten. Oft, so muss ich zugeben, genügt mir das, ich muss gar nicht unbedingt wissen, wie die Geschichte weitergeht. Folglich muss ich das Buch auch nicht kaufen. Damit habe ich mir wohl aber auch selbst meine Frage beantwortet, warum auf Inhaltsangaben verzichtet wird.
Mich faszinieren jedoch nicht nur die knappen Klappentexte. Eines der Highlights in der langlebigen britischen Kultfernsehserie Doctor Who sind die kurzen Einblendungen nur angedeuteter Ereignisse wie Clara und die Fischmenschen in „Der Hausmeister“ oder Amy und Rorys Feier ihres Hochzeitstags in „Zusammengewürfelt“.
Noch besser sind vielsagende Titel wie in Edward Goreys Erzählung „Eine Harfe ohne Saiten“, in der der Schriftsteller Ronald Frederic Melf den Titel seines nächsten Buchs jeweils aus einer Liste potenzieller Romantitel wählt, die er in seinem Notizbuch sammelt. Die Idee hat mich gereizt und bewogen, selbst eine solche Liste zu führen. Meine Titelsammlung ist nicht unbedingt nur auf Romane, sondern auch auf andere künstlerische Werke anwendbar. Einer meiner neueren Einträge lautet „Vernunft heiß aufgegossen“ – ein Titel, der mein Interesse wecken würde, egal ob das Werk zum Lesen, Anschauen, Betrachten oder Anhören gedacht wäre.
Leider kann sich die internationale Unternehmenskommunikation den Luxus solch poetisch verdichteter Eleganz oft nicht erlauben. Im Gespräch mit Kunden und potenziellen Geschäftspartnern können unklare Formulierungen katastrophale Folgen haben – selbst unter Mitarbeitern ein und desselben Unternehmens, insbesondere großer internationaler Unternehmen, deren Belegschaft über die ganze Welt verstreut ist und sich selten, wenn überhaupt, persönlich begegnet. Unternehmen sollten lieber klare, eindeutige und verständliche Botschaften an ihre jeweilige Zielgruppe richten – ob Mitarbeiter, Aktionäre oder Öffentlichkeit. Dieser Gedanke steht bei Klein Wolf Peters stets im Vordergrund, wenn wir für unsere eigenen Kunden schreiben oder übersetzen.
Das Problem kennen jedoch nicht nur weltweit tätige Unternehmen. Selbst bei uns in München müssen mein Kollege Richard und ich ständig prüfen, ob das, was wir dem anderen gesagt oder geschrieben haben, richtig angekommen ist. Immer wieder stolpern wir über typisch britisch-amerikanische Missverständnisse, obwohl wir ungefähr gleich alt sind, einem ähnlichen Kulturkreis entstammen und bereits seit sechs Jahren zusammenarbeiten, also schon einen reichen Schatz an gemeinsamen Erfahrungen und Erlebnissen gesammelt haben, auf die wir Bezug nehmen können. Aber gerade wegen dieser Vertrautheit wähnen wir uns in Sicherheit, glauben, genau zu wissen, wovon der andere spricht und was er meint, sodass es uns schon gar nicht in den Sinn kommt, nachzuhaken. Da wir uns so gut zu verstehen glauben, gehen wir oft mit zwei völlig unterschiedlichen Wahrnehmungen ein und desselben Gesprächs auseinander.
Umgekehrt hilft es natürlich genauso wenig, seine Zuhörer oder Leser mit zu häufigem Nachfragen und zu langatmigen Erläuterungen einzuschläfern. Irgendwo dazwischen gibt es sicherlich einen goldenen Mittelweg. Was mich betrifft, so muss ich meine Antennen schärfen, um rechtzeitig zu spüren, wann etwas für andere nicht so sonnenklar ist wie für mich. In gewisser Weise bin ich dafür ja sogar geschult: Als Übersetzer und Lektor drehe ich eh schon jedes Wort und jeden Satz zigmal um, damit mir auch ja keine Auslegungsmöglichkeit entgeht. Die Kunst liegt darin, dies auch dann zu tun, wenn ich mir eigentlich sicher bin, dass alles klar ist. Hinterfragen und Nachhaken sollten wie Händewaschen und Zähneputzen zur Gewohnheit werden!