Es war einmal … Erinnerungen einer Sprachdienstleisterin

Posted November 30, 2023

Englisch

Von Kristin Fehlauer
Aus dem Englischen von Julia Harwardt

Kommt näher, liebe Kinder, und höret, was Tante Kristin euch über Sprachdienstleistungen in den guten alten Zeiten zu erzählen weiß. In jenen Tagen, als ich noch keinen eigenen PC besaß und meine wundersame Laufbahn als Sprachdienstleisterin noch nicht angetreten hatte, stand ich oft geduldig Schlange in der Bücherei, um dort ein paar Minuten kostenlos im Internet zu surfen. Hieronymus¹ sei Dank waren diese düsteren Tage schon vorbei, als ich meine Karriere startete, doch ich kenne Kolleginnen und Kollegen, die die Zeiten ohne Internet noch selbst erlebt haben – unvorstellbar, wie sie überhaupt arbeiten konnten.

2003 beschloss ich, mein berufliches Glück im Bereich Übersetzung und Lektorat zu suchen, und begann – ein paar Bewerbungen und etwas Wartezeit später – mein zweijähriges Master-Studium am damaligen Monterey Institute of International Studies in Kalifornien. Jetzt hatte ich nicht nur meinen eigenen Laptop, mit Diskettenlaufwerk und etwa doppelt so dick wie mein aktuelles Modell, auch WLAN-Internetzugänge wurden immer selbstverständlicher.

Der Gedanke, dass wir damals für unsere Übungstexte – etwa zwei Normseiten mit weniger als 500 Wörtern – eine ganze Woche Zeit für die Übersetzung hatten, lässt mich heute schmunzeln. Unsere Dozent:innen mailten uns den Text als Word-Dokument, das wir kopierten und mit unserer Übersetzung überschrieben. Unbekannte Wörter schlugen wir in dicken, gebundenen Wörterbüchern nach und schickten unsere Übersetzungen schließlich per Mail zurück. Unsere Dozent:innen druckten unsere Werke aus und zückten zur Korrektur den unvermeidlichen Rotstift.

Damals hatte ich nur einen Kurs zu „computergestützter Übersetzung“, und das auch nur im zweiten Jahr, und ehrlich gesagt, kann ich mich an rein gar nichts mehr daraus erinnern. Wahrscheinlich war ich auch vom Sinn des Ganzen nicht recht überzeugt: Das deutsche Unternehmen, bei dem ich in den Sommerferien ein Praktikum absolvierte, verwendete keines dieser Tools – warum also Zeit damit vergeuden, sich in eine bestimmte Software einzuarbeiten, wenn beim nächsten Job vielleicht eine ganz andere oder gar keine verwendet wird?

Meinen ersten „richtigen“ Job begann ich im Juli 2007 bei einem deutschen Unternehmen, und die Arbeitsweise ähnelte stark dem, was ich vom Studium kannte: Unsere Übersetzungen legten wir mitsamt den deutschen Ausgangstexten den Prüfer:innen vor, die sie nebeneinanderlegten und Zeile für Zeile prüften, damit auch wirklich keine Informationen unter den Tisch fielen. Änderungen, Vorschläge und Kommentare wurden handschriftlich eingefügt.

Kurze Texte konnten wir gelegentlich nebeneinander am Bildschirm abgleichen, doch die meisten wurden ausgedruckt. Mit der Zeit weckte unser enormer Papierverbrauch mein schlechtes Gewissen, das ich damit zu beruhigen versuchte, auch die Rückseite zu verwenden. Leider legte ich jedoch hin und wieder das Papier falsch in den Drucker und musste dann den Unmut der Prüfer:innen ertragen, wenn der Drucker ein Blatt mit beiden Texten auf einer Seite ausspuckte. Schon komisch, wenn ich jetzt so darüber nachdenke – ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal etwas für die Arbeit ausgedruckt habe …

Zu dieser Zeit hatte Facebook bereits seinen Siegeszug angetreten, und in meiner Freizeit verbrachte ich viele Stunden damit, durch die Feeds von Familienangehörigen und Freunden zu scrollen und nach alten Bekannten zu suchen. Andere Arten von Social Media nutzte ich damals kaum. Google war natürlich unglaublich nützlich, nicht nur für die Bildersuche nach Objekten, deren Namen man nicht kennt, sondern auch, um herauszufinden, wie häufig eine bestimmte Formulierung in der Zielsprache vorkommt.

Im Jahr 2014 wechselte ich zu einem neuen Arbeitgeber. Etwa zur selben Zeit ging auch der Prüfprozess online: Jetzt wurden Änderungen in Word mit der Nachverfolgungsfunktion vorgenommen, die dann nach Belieben angenommen oder abgelehnt werden konnten – ganz ohne Rotstift und Papierverschwendung. Daneben hatten wir sogar eine eigenentwickelte Software, mit der wir frühere Übersetzungen nach bestimmten Formulierungen oder Wörtern in ihrem Kontext durchsuchen konnten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich LinkedIn und Twitter für mich entdeckt: Über LinkedIn konnte ich mit Kolleg:innen und insbesondere Freelancern (für Auftragsspitzen) in Kontakt bleiben; Twitter nutzte ich, um aktuelle Trends und Formulierungen zu verfolgen oder Recherchen zu starten. Auch Kunden baten uns immer öfter, Posts für Social-Media-Kanäle zu übersetzen oder zu verfassen.

Mittlerweile ist LinkedIn eher so etwas wie Facebook für Unternehmen. Während die Plattform früher Jobsuchenden die Möglichkeit zum Networking bot, positionieren heute hier vor allem Unternehmen ihren Content und posten zu spezifischen Themen. Gut für uns, denn wir dürfen diese Inhalte oft verfassen oder lektorieren!

Einst war Twitter eine unglaublich praktische Anlaufstelle, um sich über berufsspezifische Gruppen, Konferenzen sowie Themen aus der Übersetzungs- und Dolmetschbranche zu informieren und die lustigen und albernen Seiten der Sprachwelt (neu) zu entdecken. Leider steht Twitters Zukunft mittlerweile in den Sternen, und bislang hat sich keine Plattform als Rettungsinsel für all diejenigen herauskristallisiert, die das Schiff „X“ verlassen wollen.

Ich finde Facebook immer noch sehr hilfreich, um, sagen wir mal, die „Stimmung der breiten Masse“ zu ermitteln. (Masse ist vielleicht etwas viel gesagt: So viele Freund:innen habe ich auch wieder nicht.) Dort habe ich Kontakt zu Menschen, die amerikanisches Englisch als Muttersprache haben und kein Deutsch sprechen, davon also nicht beeinflusst sind. Im Deutschen benutzt man beispielsweise den bestimmten Artikel vor „Oktoberfest“, und viele englische Muttersprachler:innen aus meinem Freundeskreis in Deutschland haben das übernommen: „Are you going to the Oktoberfest?“ Ich möchte jedoch behaupten, dass Muttersprachler:innen ohne Deutschkenntnisse dies als Eigennamen wie Lollapalooza oder Burning Man sehen und daher sagen würden: „Are you going to Oktoberfest?“ (Die wenigen, die an meiner „Befragung“ teilgenommen haben, bestätigen im Übrigen meine Hypothese.)

Daneben hat sich auch die Art und Weise verändert, wie ich Google nutze. Die Suchmaschine schießt in gewisser Weise über das Ziel hinaus: Sie wirft Treffer basierend auf meinem Standort in Deutschland aus, was aber nur wenig nützt, wenn ich wissen will, wie häufig eine bestimmte englische Formulierung verwendet wird. Zudem hat Googles enormer Erfolg scharenweise Sponsoren angezogen, was sich auch auf die Suchergebnisse verzerrend auswirken kann. Natürlich gibt es Möglichkeiten, diese Probleme zu umgehen; aber ich hätte mir zu Beginn meines Studiums kaum vorstellen können, dass ich mich in der Zukunft einmal mit den Algorithmen eines globalen Konzernriesens messen müsste.

Auf das Thema maschinelle Übersetzung bin ich noch nicht einmal oberflächlich eingegangen. Einige dieser Tools sind mittlerweile so fest in meinen Arbeitsalltag integriert, dass sich mein Job ohne sie wie ein Seiltanz ohne Netz anfühlen würde.

Bei solchen Rückblicken wird mir immer wieder klar, wie wenig wir über die Zukunft sagen können. Mein Arbeitsalltag sieht heute ziemlich anders aus als zu Beginn meiner Karriere vor 16 Jahren. Und wer weiß schon, wie es in weiteren 16 Jahren sein wird …

¹ Schutzheiliger der Übersetzer:innen

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