Identität 1: Kilts und Knödel

Posted Dezember 7, 2017

Englisch

von Colin Rae, aus dem Englischen von Julia Harwardt

Parallele Welten

Als Schotte fühlt man sich in Bayern schnell daheim, denn wie seine Heimat gehört zwar auch Bayern einem größeren Ganzen an, blendet diese Tatsache aber gerne aus. Dass Schottland immer wieder versucht, unabhängig zu werden, ist wohlbekannt; und auch in Bayern gab es in der Geschichte zahlreiche, wenn auch erfolglose Versuche, sich von der Bundesrepublik loszueisen. Ebenso haben Bayern und Schottland beide blau-weiße Flaggen und sind für ihre zugegebenermaßen trinkfreudigen Bewohner bekannt.

Dennoch braucht es mehr als nur ein paar oberflächliche Parallelen, um sich an einem Ort heimisch zu fühlen. Aber was genau? Ist es ein Segen, zwei Länder seine Heimat nennen zu können, oder eher ein Fluch, weil ich zwischen zwei Welten sitze? In welcher Beziehung stehen Nationalität und Identität bzw. Sprache und Identität? Nach 15 Jahren in Deutschland denke ich darüber nach, wie sich mein Leben seit meiner Ankunft verändert hat; und angesichts des bevorstehenden Brexits beschäftige ich mich auch mit dieser unvorhergesehenen Entwicklung.

Als ich vor fast 15 Jahren nach München zog, wusste ich nicht genau, wie lange ich bleiben und wohin mich diese Entscheidung führen würde, aber eines wollte ich unbedingt: dazugehören. Einfach wie einige andere englische Muttersprachler davon auszugehen, dass man mich schon verstehen würde, wenn ich nur laut und langsam genug Englisch spreche, war mir zuwider. Trotzdem traute ich mich anfangs nicht, meine Deutschkenntnisse aus der Highschool auszugraben, und hängte ich mich vorerst nur an andere englische Muttersprachler.

 

Zwei Bier, bitte!

Eines Abends fragte mich ein neuer Bekannter aus den USA, der schon einige Jahre in München lebte, ob ich mit ihm auf ein Bier gehen wollte. Ich kann mich noch erinnern, wie aufgeregt ich auf dem Weg zu unserem Treffpunkt war, endlich Münchens coole Bars und laute Wirtshäuser zu erkunden. Als er sagte, dass er wüsste, wo wir ein Bier für einen Euro bekommen könnten, war ich (bzw. der Schotte in mir) sehr beeindruckt. Das änderte sich aber schnell.

Er führte mich zu einem Getränkeautomaten im Keller eines schäbigen Wohngebäudes der Universität, und wir tranken unser Bier irgendwo draußen auf einer Treppe. Nun bin ich nicht gerade jemand, der es unbedingt schick oder durchorganisiert braucht, um einen schönen Abend zu verbringen, und ich hatte tatsächlich auch Spaß daran, einfach nur herumzuhängen. Aber trotzdem ließ mich das Gefühl nicht los, dass ich nicht am Leben in meiner neuen Heimat teilnahm.

Im Laufe des Abends erkannte ich zudem, dass mein Bekannter den Getränkeautomaten nicht aus Sparsamkeit bevorzugte, sondern weil er so kein Deutsch sprechen und mit der lokalen Bevölkerung in Kontakt treten musste. Ich kann mich noch genau daran erinnern, was ich dabei dachte: Erstens konnte ich sogar mit meinem eingerosteten Deutsch ein Bier in einer Kneipe bestellen. Und zweitens wollte ich mich nicht aus Angst vor sprachlichen Schnitzern von neuen Erfahrungen abhalten lassen.

Da ich das Sprachproblem direkt angehen wollte, bat ich meine deutschsprachigen Freunde, künftig möglichst Deutsch mit mir zu sprechen. Ich setzte mich an meine Bücher und war entschlossen, erst aufzuhören, wenn ich diese Sprache beherrsche – zumindest soweit, dass ich alltägliche Dinge erledigen konnte, ohne mich komplett zu blamieren. Das stellte mich aber vor einige knifflige Fragen.

 

Expats unter sich

Was bedeutet es, als Schotte außerhalb von Schottland zu leben? Und welchen Ort meinte ich, wenn ich von „daheim“ sprach? Würde ich meine Herkunft verleugnen, wenn ich mich künftig „deutscher“ verhielt? Die Angst, sich selbst zu verlieren, erklärt zumindest ansatzweise, warum viele der anderen Expats, die ich traf, nicht nur sehr stark an ihrer Sprache und ihren Gepflogenheiten festhielten, sondern sich jeder Veränderung heftig und teilweise aggressiv-abschätzig verweigerten. Als ob eine andere Mentalität (in diesem Fall die deutsche) irgendeinen Schaden anrichten könnte.

Ich merkte schnell, dass mein Leben umso angenehmer wurde, je besser ich Deutsch sprach, und erinnere mich noch gut an meine „kleinen Siege“: wenn ich jemand kennenlernte und im Gespräch nicht auf Englisch zurückgreifen musste; oder die Leute immer später merkten, dass ich gar nicht aus Deutschland kam; und als ich zum allerersten Mal für einen deutschen Muttersprachler gehalten wurde. Aber abgesehen davon war es für mich auch eine Sache des Respekts. Mir war es damals sehr wichtig, nicht für einen dieser englischen Muttersprachler gehalten zu werden, die sich nicht integrieren wollen. Das ging sogar so weit, dass meine Frau, als wir zusammenkamen, dachte, dass ich ihr Englisch schrecklich fand – weil ich darauf bestand, immer Deutsch mit ihr zu sprechen.

Mit der recht aktiven Münchner Expat-Szene wollte ich absolut nichts zu tun haben; umso mehr, wenn ich mich (wenn auch sehr selten) in einer irischen oder australischen Bar wiederfand, wo sich anscheinend ausschließlich Expats trafen, um über das Leben in Deutschland zu lamentieren. Sie versuchten offenbar auf Teufel komm raus, ihr Leben in Deutschland so englisch, irisch, kanadisch, australisch oder eben schottisch wie möglich zu gestalten – womöglich aus Angst, sich sonst selbst zu verlieren.

Aber ist diese Gefahr real? Ich habe zwar bei meinen späteren Reisen ins United Kingdom selbst „umgedrehte“ Kulturschocks erlebt und musste mitunter länger nach bestimmten Wörtern oder Redewendungen suchen, weil mein Gehirn Deutsch als Standardsprache abgespeichert hatte. Aber mir kam das nie schlimm vor. Es war mir nur etwas unangenehm, denn wenn die Zweitsprache in manchen Situationen plötzlich die Erstsprache aussticht, ist das durchaus ein seltsames Gefühl. Weil meine Kinder in Deutschland geboren wurden, kann ich zum Beispiel problemlos auf Deutsch über Schwangerschaft und Geburt sprechen, während mir auf Englisch die Fachbegriffe nicht unbedingt geläufig sind.

 

Same same but different …

Weil ich mich manchmal weder an dem einen noch an dem anderen Ort ganz zuhause fühle, habe ich beschlossen, das Beste aus beiden Welten mitzunehmen. Während ich früher bisweilen versucht hatte, die Besonderheiten der einen auf die andere zu übertragen, weiß ich heute, dass sich kulturspezifische Gebräuche nun einmal nicht kopieren lassen.

Nehmen wir Fish and Chips als Beispiel: Natürlich findet man dieses klassische britische Gericht auch in Deutschland. Aber wenn ich an Fish and Chips denke, dann ist das mehr als nur panierter Fisch und Pommes. Es geht dabei auch um die gesamte Szenerie (das Lokal selbst, die Fliesen, Theke, Spielautomaten, Schilder, nicht zu vergessen die Geräusche und Gerüche), was es auf der Karte gibt, wie man bestellt und wie die Gerichte serviert werden. Stellen Sie sich einfach vor, Sie würden im Ausland ein authentisches bayrisches Wirtshaus suchen …

Was also Fish und Chips für Großbritannien, sind Brezen und Knödel für Bayern – und das ist nun einmal nicht austauschbar. Mein altes Ich nimmt also das Beste meiner alten Heimat und mein neues, ich würde sogar sagen „besseres“ Ich das Beste meiner neuen Heimat mit. Wie sich das Leben aber über Nacht ändern kann, erfahren Sie im zweiten Teil meines Blogs.

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