Was machst Du eigentlich genau?

Posted Dezember 6, 2017

Englisch

von Richard Peters, aus dem Englischen von Maria Wolf

Ach, Du übersetzt?

Ich werde oft gefragt, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene. In der Kurzfassung lautet die Antwort: „Mit Übersetzung“. Jemand, der mit Fremdsprachen nichts oder kaum etwas zu tun hat, mag mit diesem Wort das Bild eines mittelalterlichen Schreibpults verbinden, hinter dem ein Schreiber, über eine Pergamentrolle gebeugt, hin und wieder seine Kappe über den buschigen Augenbrauen zurechtrückend, eifrig das kostbare Schriftstück dupliziert, wobei sich die Worte irgendwo auf dem Weg zwischen seinen Augen und seiner Feder wundersam in eine andere Sprache verwandeln. Weit gefehlt: Ich besitze nicht einmal eine Kappe!

Die Wahl der Worte in der Zielsprache, die den Gedanken des Ausgangstextes am besten wiedergeben, ist ein aktiver Prozess, der Zeit und Energie erfordert. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich dank meiner österreichischen Mutter und meines britischen Vaters zweisprachig aufgewachsen bin. Während andere mit einem ausgeprägten Ballgefühl zur Welt kommen und später Fußballprofis werden, wurde mir das Sprachtalent in die Wiege gelegt. Ich muss mich nicht bewusst mit der Quellsprache auseinandersetzen, sondern kann mich gleich darauf konzentrieren, die englischen Worte und Gedanken abzuwägen, die den Inhalt des Quelltextes für den Leser meiner Übersetzung am authentischsten vermitteln.

 

Und was übersetzt Du?

In der Regel folgt dann gleich die zweite Frage – vielleicht auch, weil wir am häufigsten über Fremdsprachen stolpern, wenn wir wieder ein neues Gerät gekauft haben und durch die Anleitung blättern: „Und was übersetzt Du? Betriebsanleitungen?“, was ich mit einem (zumindest in meinem Kopf) inbrünstigen „Nein!“ beantworte. Mein Fachgebiet ist glücklicherweise die Unternehmenskommunikation mit ihrer spannenden Vielfalt. So viele Unternehmen, die so viel Unterschiedliches zu sagen haben und so viele verschiedene Menschen ansprechen!

Jedes Unternehmen ist anders, aber jedes hat vielfältige Informationen an unterschiedliche Zielgruppen über viele verschiedene Kanäle zu kommunizieren: Broschüren, Flyer, Web-Inhalte oder Magazine für potenzielle Neukunden; Finanzinformationen, Marktanalysen und Jahresberichte für Investoren; Intranet-Inhalte und Newsletter für die Mitarbeiter. Ein Produktdatenblatt ist etwas anderes als eine Pressemitteilung und wieder etwas anderes als ein Blogbeitrag. Daraus ergibt sich eine Vielzahl von Kombinationen, die jede eines maßgeschneiderten Konzepts bedarf.

Das Wissen um die „Haus“-Sprache eines Unternehmens und deren abzudeckende Fremdsprachen reicht nicht aus, um die charakteristische Tonalität zu treffen. Unternehmen investieren enorm viel Gehirnschmalz, um die richtigen Worte für ihre Kommunikationen zu wählen. Die Entscheidung, wie diese Inhalte am besten in der Zielsprache zu formulieren sind, ist nicht weniger anspruchsvoll. Zunächst muss der Übersetzer die Kernaussage verstehen – wirklich erfassen, was der Autor sagen will und was die Zielgruppe herauslesen soll. Dann muss er die richtigen Worte und Wendungen wählen, die die gewünschte Bedeutung so präzise und originaltreu wie möglich wiedergeben. Dabei muss er den richtigen Ton treffen und die gleiche Wirkung erzielen wie der Ausgangstext – ohne dass Fakten verlorengehen. So muss ein Text, der zum Beispiel vom Englischen ins Deutsche übersetzt wurde, bei den deutschen Lesern das gleiche Echo hervorrufen wie das Original bei der englischen Leserschaft.

 

Gibt’s dafür noch keine App?

Nachdem mein Gegenüber nun erfahren hat, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiene, ernte ich häufig Mitleid: Armer Richard, bald wird er durch Roboter ersetzt! Ich habe hingegen keine Bedenken, dass ich so schnell durch die Automatisierung wegrationalisiert werde. Bei der Unternehmenskommunikation geht es darum, Menschen zu erreichen – und der beste Weg, um von Menschen gelesen zu werden, ist, von Menschen schreiben zu lassen.

Das soll nicht bedeuten, dass Computer keinen Platz in der Kommunikationsbranche hätten – schließlich sitze ich gerade vor einem Rechner und hacke meine Worte in die Tastatur! Es wäre für mich unvorstellbar, Texte im Auftrag meiner Unternehmenskunden zu verfassen, ohne auf Knopfdruck das gesammelte Wissen der Welt anzapfen zu können. Aber ich bin überzeugt, dass die schlagendsten Argumente und packendsten Geschichten noch lange auf die schöpferische Intelligenz der Menschen angewiesen sein werden. Wenn ich also diese Argumente und Geschichten übersetze, nutze ich meine menschliche Kreativität und schreibe eine neue Version, die dem Original Rechnung trägt.

Ich freue mich darauf, in den kommenden Monaten und Jahren mit modernsten Kommunikationsmethoden und neuesten Technologien mit meinen hochtalentierten Kollegen in meiner neuen Firma zusammenzuarbeiten. Und weil ich nicht nur die Gedanken anderer dupliziere, sondern für die Verständigung von Unternehmen und Menschen über Grenzen hinweg sorge und dadurch einen Beitrag zu einer besseren Welt leiste, beschert mir dies nicht nur einen Lebensunterhalt, sondern vor allem Lebensfreude!

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